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No One Night Kill 13

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Der Bahnhof grenzte an einen kleinen Park mit mehreren gezackten Linden, die, ebenso wie viele der Nachtschwärmer, im Wind wankten. Nahe dem Eingangstor des Parks hatte sich eine Traube von Jugendlichen versammelt, die auf der Wiese neben dem abgeworfenen Laub lag und laut grölte. Daran schloss ein kleiner Bahnhofsvorplatz an, der drei Halteboxen und einen Taxistand beherbergte. Dahinter befand sich die Dönerbude, die in einem kargen Nachkriegsbau untergebracht war und direkt neben einer verrotteten Treppe zum Bahnsteig lag. „Döner am Westbahnhof“ stand auf dem Schild im Schaufenster.

Der Spieß war fast leer geschält, reichte aber noch für zwei Dönertaschen, die mit allem, außer Zwiebeln und Oliven, prall gefüllt waren. „7,30 € macht das. Getrennt oder zusammen?“, fragte sie der Verkäufer. „Getrennt.“, antwortete Bernadette, die ihren Kebab bereits in der Hand hielt und den zweiten Raphael reichte. Eh Bernadette ihr Portemonnaie öffnen konnte, lagen schon 7,50 € sauber ausgezählt auf dem Tresen. „Ich lade dich ein. Sozusagen als Wiedergutmachung.“ – „Das möchte ich aber nicht.“ – „Keine Widerworte.“ – „Stimmt so. Und du Bernadette, Iss jetzt lieber den Döner bevor er kalt wird.“ „Ja, Vati“, nuschelte sie kleinklaut, während sie einen großen Bissen nahm. „Doch zu einem Zombie mutiert? So wie du den verschlingst? Ist ja gleich gar nichts mehr übrig.“ – „Du hast doch gesagt, ich soll den jetzt essen. Zudem habe ich riesen Hunger“, raunte sie. Raphael verdrehte die Augen, dann lächelte er. „Ist ja auch echt lecker. Danke, dass du mich noch überzeugt hast. Ich hätte sonst etwas verpasst“, gab er zu. „Nein, ich danke dir. Dass du mich überzeugt hast zu bleiben.“ Bernadette kicherte. „Vielleicht ist es auch einfach nur der Alkohol, der langsam richtig wirkt. Das ist oft auch echt überzeugend. Immer ein gutes Argument.“ – „Da hast du wohl Recht. Einigen wir uns auf unentschieden?“ – „Na gut, unentschieden“, stimmte Bernadette versöhnlich zu. Darauf biss sie erneut in den Kebab, ein Stück Tomate rutschte auf dem Boden. Mit jedem Bissen franzte die Tasche weiter aus und entleerte sich. Raphael nahm davon keine Notiz, zu sehr war er selbst damit beschäftigt, sein weißes Hemd nicht zu beflecken. Das Gespräch begann zu stocken. Je weniger von den Dönern übrig blieb, desto länger wurden die Pausen. Der Raum wurde stattdessen von den Gesprächen der anderen Gäste und Bernadettes lautem Schmatzen gefüllt.

Als die letzten Reste vertilgt waren, sprudelten Bernadettes zuvor zurückgehaltene Gedanken unkontrolliert in den Raum, während sie selbst leicht zu torkeln begann, so als wenn sie von der Wucht mitgerissen würde. „Raphael, also erstmal, ich glaube, ich müsste mal aufs Klo gleich. Aber erzähle mal, warum seid ihr beide befreundet? Ist Antonio wirklich immer so? Ich weiß nicht, irgendetwas hat er an sich. Ich finde ihn sexy. Wenn er nicht bloß so ein Idiot wäre.“ Bernadette seufzte, dann fuhr sie fort, während sie tief ins Raphaels Gesicht starrte. „Du bist da ganz anders. So anders. Voll in Ordnung. Ihr seid wie Jing und Jong, oder so – weißt du, was ich meine? Wie schwarz und weiß. Doch du trägst das Messer und nicht er.“ Bernadettes Blicke wanderten zu dem Messer, dann sprangen sie ruckartig wieder zurück. „Könntest du mir einen Gefallen tun? Könntest du das Messer abnehmen? Ich weiß, es ist eine Erinnerung, aber, aber, sollte man nicht Erinnerungen eher in seinem Herzen tragen und nicht an seiner Hose?“. Während sie das aussprach, legte sie ihre Hand auf Raphaels Oberkörper. „Genau hier. Das ist doch viel schöner. Hast du deinen Opa sehr geliebt? Vermisst du ihn? Ich vermisse meinen sehr, aber hey, er ist in meinem Herzen und wacht jeden Abend über mich. Auch jetzt. Und deiner wird es auch, da brauchst du auch kein Messer zur Verteidigung. Du, ich muss jetzt wirklich mal. Lass uns bitte gehen. Und nimm das Messer ab. Nachher verletzt sich noch jemand und das hätte dein Opa nicht gewollt.“ Bernadette trampelte zum Tresen. „Haben Sie ein Klo hier? Ich müsste mal.“ Der Verkäufer zeigte wortlos auf eine Tür, die unscheinbar in der Wand eingelassen war und mit einer verblichen, roten Kloschüssel markiert war. Ehe er seinen Arm wieder senken konnte, ist aus ihr nur noch ein kümmerlicher Schatten geworden, dann war Bernadette ganz verschwunden. Raphael sah ihr gedankenversunken hinterher. „Alles in Ordnung. Macht euch keine Sorgen“, tippte er hastig ins Handy und drückte auf Senden.

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