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No One Night Kill 1

„Was machst du hier?“, fragte er sie, während sein bester Freund sie von oben bis unten musterte. Er fuhr fort und schien gar nicht darauf zu warten, dass sie ihm eine Antwort lieferte. „Du scheinst hier neu zu sein. Ich sehe so etwas direkt auf den ersten Blick. Du siehst verschreckt aus. Wir tun dir nichts. Zumindest noch nicht.“, entgegnete er ihr. Sein bester Freund steckte im selben Moment sein Messer wieder in die dafür vorgesehene Schnalle an seinem Ledergürtel. „Siehst du. Raphael packt es schon weg. Keine Gefahr. Woher kommst du?“. Bernadette bekam kein Wort hinaus, sah verschüchtert nach unten, dann zu dem Messer.

Wo war sie hier gelandet? Würden ihre mutmaßlichen Mörder noch einen kleinen Small Talk führen, ehe sie sie von unten bis oben zerschlitzen würden? Je mehr sie nachdachte, desto fester zementierten sich ihre Füße an der Stelle. Gleich musste sie daran glauben. Das wusste sie, als sie Raphael wieder mit seinem Messer spielen sah. Gleich würde er mit ihr spielen. Sie zuvor vergewaltigen und dann würde er sie umbringen. Wenn sie jetzt Widerstand leistete, wäre das Drama wahrscheinlich noch schlimmer. Mit „Hallo? Ich rede mit dir.“ wurde ihr Gang durch die Gedanken jeher gestoppt. „Wir werden dich jetzt noch nicht umbringen. Erst, wenn wir dich besser kennen. Wir stehen nicht so auf One Night Kills. Töten ohne Hintergrund. Wir wollen unsere Opfer kennenlernen. Eine Beziehung aufbauen und dann, wenn sich die Person in Sicherheit wiegt, eiskalt zuschlagen. Sozusagen eine wörtliche Trennung. Aber bisher weiß ich nicht mal, wie du heißt, woher du kommst. Also brauchst du dir bisher keine Sorgen machen.“ versuchte er sie zu beruhigen und ihre Worte wieder zu finden. „Erst wenn du mit mir freiwillig im Bett liegst, musst du dir Sorgen machen. Denn dann hat dein letztes Stündchen geschlagen. Dann wirst du schachmatt gesetzt. Dann werde ich dich mit meiner Liebe vergiften.“

Sie zuckte zusammen, seine Auflockerung der Situation schien nichts zu bewirken, es eher zu verschlimmern. Bernadette war den Tränen nah, doch nicht nur ihre Beine waren gelähmt, auch ihr Gesicht zeigte keine Regung mehr. Antonios Humor ließ sie kalt. Sie zitterte. „Antonio hat manchmal einen komischen Humor. Mach dir nichts daraus. Er tut dir nichts. Auch ich nicht“ rief ihr Raphael zu und streichelte unterdessen sein Messer. Sie glaubte ihnen nicht, gleich würde er ihre Beine streicheln und dann. Sie wollte es sich gar nicht weiter ausmalen, ihre Vorstellungen nur skizzenhaft bleiben lassen. Sie wollte kein blutverschmiertes Gemälde werden. Das stand fest, aber warum lief sie dann nicht fort. Es wäre sinnlos. Sie würden ihr eh folgen. Sie waren zu zweit, sportlich und ihr körperlich überlegen. Sie hatte eh keine Chance. Und ihre Energie bräuchte sie noch, wenn sich ihr eine gute Fluchtmöglichkeit böte. Wenn beide abgelenkt sind und sie nicht den alleinigen Fokus ihrer Aufmerksamkeit darstellte. Wenn sie nicht auf ihre Oberweite starren.

Da Antonio merkte, dass sein Humor nicht den zündenden Erfolg bei ihr bewirkte, übergab er Raphael das Wort. „Magst du mit uns was trinken gehen? Dann kannst du unseren Lieblingsdrink kosten. Einen Red Death.“ Bei dem Wort „Death“ vibrierten Bernadettes Beine erneut, zerhämmerten aber auch den Zement, der sie schon fünf Minuten lähmte, sie trat zwei Schritte zurück. „Wenn er dir nicht schmeckt, kannst du immer noch abhauen. Gib uns eine Chance“. Widerwillig stimmt sie ihnen zu und nickte schüchtern. Ihr blieb auch nichts anderes übrig. „Mit etwas Sprit im Blut wirst du auch etwas wortreicher. Pass mal auf. Dann fällt auch die Angst von dir ab.“ Antonio lachte und beendete Raphaels Satz: „und dann werde ich dich töten. Also habe immer Angst vor uns, sonst…“ Antonio streifte mit seiner Hand einmal über seine Kehle. Bernadette zuckte wieder zusammen. „Lasst uns gehen. Die Nacht ist noch jung. Es ist nicht weit bis zu unserer Lieblingsbar. Dort hinten kannst du sie schon fast sehen. Dort wo das große grüne Schwert leuchtet. Scar heißt sie. Weißt du, dass du auch echt scharf bist. Sorry, wenn ich das so sage. Aber deswegen haben wir dich angesprochen. “ Bernadette schwieg, lächelte gezwungen. „Ich vergaß. Du redest ja noch nicht.“ Bernadette dachte wieder an das Messer, welches scharf geschliffen an Raphaels Gürtel hing. Die ganzen Andeutungen konnten doch kein Zufall sein. Warum floh sie nicht? Warum schrie sie nicht? Was war mit ihr los? Auch wenn sie sich fürchtete, war sie einerseits fasziniert von Antonio. Antonio entsprach genau ihrem Beuteschema. Er war groß, schlank und hatte seine schwarzen Haare verwegen ins Gesicht gekämmt. Er imponierte ihr. Vielleicht war das mit der Grund, warum sie den Abend auf sich zukommen ließ.

Dann sammelte sie all ihren Mut zusammen, um ihre Neugier zu stillen. „Und was ist mit dem Messer, wenn wir in die Bar gehen?“ „Sie kann ja doch reden. Deswegen gehen wir ja ins Scar. Da ist es Usus, dass man ein Messer bei sich trägt. Sozusagen ein Ritual. Nur zur Sicherheit.“ Dann hatten sie die Bar erreicht. Von außen machte sie einen unscheinbaren Eindruck. Auch draußen war es still. Sie waren die Einzigen, die in die Bar wollten. Alle anderen schienen ihr keine sonderliche Beachtung zu schenken und lieber die andere Lokalitäten in der Straße aufsuchen zu wollen. Wenn kein großes grünes Schwert über den Eingang geragt hätte, hätte es sich bei der Bar auch um eine Wäscherei handeln können. Einer Wäscherei, wie die, bei der sie letztens ihre mit Rotwein durchtränkte Bluse zum Reinigen abgegeben hatte. Wenn das Schwert nur nicht wäre. Bei dem Gedanken bekam sie eine Gänsehaut. Doch jetzt war es zu spät. Zu dritt betraten sie die Bar.

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